Medizinische Hilfe und Betreuung für Obdachlose in Berlin muss weiter
verstärkt werden: Die Jenny De la Torre-Stiftung feierte am 10. Dezember 2003
ihren 1. Geburtstag auf einer Festveranstaltung beim Ostdeutschen Sparkassen-
und Giroverband (OSGV) in Berlin. Über 100 Teilnehmer, darunter zahlreiche
Ärzte, Verantwortliche aus Politik und Gesundheit, die Senatorin für Gesundheit,
Frau Heidi Knake-Werner sowie Freunde und Förderer erlebten einen lebendigen
Rückblick auf die einjährige Tätigkeit der gemeinnützigen Stiftung, die ihren
Grundstein bereits Mitte der neunziger Jahre in der erfolgreichen medizinischen
und sozialen Betreuung obdachloser Menschen in Berlin gelegt hatte.
Die Geschichte der Berliner Obdachlosenpraxis, der weltweit ersten medizinischen
Einrichtung dieser Art, begann im Jahre 1994 auf dem Ostbahnhof. Seitdem
behandelte die peruanische Ärztin Dr. Jenny De la Torre Castro, die seit 1982 in
Berlin lebt, hier insgesamt 5 000 wohnungs- und mittellose Menschen im Alter von
12 bis 84 Jahren. Viele ihrer PatientInnen, für die die Behandlung kostenlos
ist, haben es danach geschafft, wieder ein selbständiges Leben zu führen. Sie
haben Wohnung und Arbeit, sind angekommen im Leben und weg von der
krankmachenden Strasse.
Nach vielen Stationen des Bangens um den Erhalt der stark frequentierten
Einrichtung, die von der MUT – Gesellschaft für Gesundheit mbH unterhalten wird,
kam es in diesem Jahr zu einem entscheidenden Schritt, der die Zukunft der
Stiftung nachhaltig beeinflussen wird. Die Stiftungsvorsitzende und
Obdachlosenärztin Jenny De la Torre Castro kündigte im Interesse ihrer Patienten
aus Protest gegen die Stellenkürzung von 40 auf 25 Wochenstunden ihren
Arbeitsvertrag mit der MUT.
Das nächste Ziel der Stiftung wird daher die Schaffung eines staatlich
unabhängigen Gesundheitszentrums für Obdachlose sein, informierte Dr. Jenny De
la Torre auf der Festveranstaltung. „Wir wollen mit der Politik
zusammenarbeiten, jedoch von staatlichen Kürzungen verschont bleiben.“ Nur so
könne die ausreichende medizinische Versorgung wohnungs- und mittelloser
Menschen in Berlin langfristig abgesichert werden. Angesichts des massiven
Sozialabbaus und der schlechten Lage auf dem Arbeitsmarkt sei mit einer starken
Zunahme obdachloser Menschen zu rechnen. Die Dunkelziffer in Berlin liegt schon
heute weit über 10 000. Der Anteil junger Menschen und Frauen unter den
Hilfebedürftigen steigt.
Im Unterschied zu anderen Arztpraxen muss ein Gesundheitszentrum für Obdachlose
bestimmte spezifische Anforderungen erfüllen, erläuterte die
Stiftungsvorsitzende. Dazu gehörten zum Beispiel neben dem Wissen über spezielle
Erscheinungsformen von Krankheiten bei Obdachlosen auch infrastrukturelle
Kenntnisse über Einrichtungen, in denen sie weitere Hilfen erhalten können und
die Voraussetzungen, die dazu nötig sind.
Niedrigschwelligkeit, so De la Torre weiter, stehe eben n i c h t für ein
unteres Qualitätskriterium medizinischer Behandlung, sondern für
unbürokratische, schnelle und anonyme Hilfe ohne lange Wartezeiten, die
Obdachlosen entgegenkommt.
Weiterhin soll das Gesundheitszentrum auch die soziale und psychologische
Beratung Betroffener unterstützen und vielen Menschen die Möglichkeit geben,
hier ehrenamtlich tätig zu werden.
Angestrebt wird ein Ort der Hilfe, der Hoffnung und konkreten Veränderung, an
dem Erfahrungen weitergegeben werden, wie bereits in der Praxis am Stralauer
Platz. Hier wurden angehende Ärzte, Krankenschwestern und Arzthelferinnen
ausgebildet. Außerdem präsentierte sich die Praxis europaweit als Modellprojekt
für die medizinische Betreuung Obdachloser. Delegationen aus Belgien, Finnland,
Dänemark und anderen europäischen Staaten nahmen von hier konkretes Wissen und
Erfahrungen in ihre Heimatländer mit.
Als neue Aktivitäten plant die Stiftung im Jahr 2004 zunächst die Suche nach
einem geeigneten Objekt zur Einrichtung des Gesundheitszentrums sowie die
weitere Gewinnung und Mobilmachung von Ressourcen zur Unterstützung des
Projekts. So sollen Spendenaufrufe an die Berliner Bevölkerung und die
Ärzteschaft helfen, dauerhafte Sponsoren zu gewinnen, um die Arbeit für
obdachlose Menschen langfristig abzusichern.
Vorgestellt wurden konkrete Unterstützungsangebote zahlreicher Privatpersonen
sowie von Institutionen und Firmen aus dem In- und Ausland, z.B. die zukünftige
Versorgung mit Bekleidung für wohnungslose Menschen. Alle diese Angebote können
jedoch erst dann eingelöst werden, wenn ein entsprechendes Domizil gefunden ist,
das den räumlichen und infrastrukturellen Anforderungen an eine spezielle
Einrichtung für Obdachlose gerecht wird.
Die Stiftungsvorsitzende dankte vor allem dem Ostdeutschen Sparkassen- und
Giroverband (OSGV) sowie dem Bundesverband Deutscher Stiftungen, aber auch allen
anderen Anwesenden herzlich für die bisher geleistete Unterstützung.
Innerhalb von nur einem Jahr ihres Bestehens konnte die Stiftung bereits
zahlreiche Freunde und Förderer gewinnen, wie die Ärztin mit Freude berichtete.
Außerdem sei der Vorstand um zwei Stiftungsmitglieder erweitert worden.
Vorgestellt wurden Frau Kerstin Siebert, die als Krankenschwester in der
Obdachlosenpraxis am Ostbahnhof arbeitet sowie Herr Erik Hildenbrand, der in
Zukunft die Funktion des Geschäftsführers der Stiftung wahrnehmen wird.
Die Sängerin Dagmar Frederic, Schirmherrin des Wohnprojekts „Undine“ für
Obdachlose, und der Geschäftsführende Präsident des Ostdeutschen Sparkassen- und
Giroverbands (OSGV), Rainer Voigt, überreichten Spenden an die Stiftung.
Die Senatorin für Gesundheit, Frau Heidi Knake-Werner, der Geschäftsführer des
Bundesverbands Deutscher Stiftungen, Dr. Christoph Mecking und der
Bezirksstadtrat für Wirtschaft, Finanzen und Bürgerdienste von
Friedrichshain-Kreuzberg, Lorenz Postler dankten der Jenny De la Torre-Stiftung
für die geleistete Arbeit und sicherten ihre weitere Unterstützung für die
Zukunft zu.