Das Essen ist wichtig. Bereits am Eingang riecht es nach Eintopf, und mit vollem Bauch ist der Weg zum Arzt für die Patienten nicht mehr so weit. 20 Meter müssen sie den Gang entlang gehen bis zum Zimmer, vor dem bunte Fische auf blauem Grund an der Wand schwimmen. Überwindung kostet es sie alle, zum ersten Mal durch diese Tür zu gehen. Manchmal ist es viele Jahre her, dass die Männer und Frauen, die ihr Leben auf der Straße verbringen, beim Arzt waren. In die Obdachlosenpraxis am Ostbahnhof können sie einfach kommen. Niemand fragt nach Versichertenkarte oder Praxisgebühr. Unbürokratisch wird geholfen - seit zehn Jahren nun schon. Ewa 10 000 Obdachlose leben offiziellen Schätzungen zufolge in Berlin. Bei weitem nicht alle kommen in eine der Arztpraxen am Ostbahnhof oder am Bahnhof Lichtenberg. "Aber wir haben darum gekämpft, dass diese Menschen Sicherheit spüren", sagt Jenny de la Torre, die als Ärztin die Betreuung der Obdachlosen aufgebaut hat. Sie nahm die Stelle an, die als Projekt der "MUT - Gesellschaft für Gesundheit", einer Tochter der Ärztekammer, geplant war. "Wir hatten zunächst keine eigenen Räume und landeten in einem fensterlosen Zimmer beim Deutschen Roten Kreuz", erinnert sich de la Torre. Die Patienten kamen. Zögerlich zuerst, dann half die Mundpropaganda. Die Frau aus Peru, die in der DDR Kinderchirurgie studierte, hat sich der Ärmsten einer reichen Gesellschaft angenommen. Nach und nach hat sich die Praxis räumlich verbessert. Nach dem fensterlosen Raum kam einer, der sich lüften ließ, im alten Postgebäude am Ostbahnhof. Seit drei Jahren hat die Praxis Quartier in einer ehemaligen Werkstatt am Stralauer Platz bezogen. Das Projekt hat sich etabliert. Außer der Suppenküche wurde auch eine Zahnarztpraxis neben dem Arztzimmer eingerichtet. Mehr als 40 000 Konsultationen hat MUT in zehn Jahren verzeichnet. Möglich ist die Hilfe nur durch Spenden. Jenny de la Torre arbeitet seit vergangenem Herbst nicht mehr in der Praxis. Schweren Herzens hat sie aufgehört, als ihre Stelle gekürzt werden sollte. Ihr sei es ums Prinzip gegangen. "Die Obdachlosen brauchen die volle Zeit, damit sie wissen, dass jemand für sie da ist." Sie will nun über ihre Stiftung eine neue Praxis gründen.